Die Tapferkeit der Niedersachsen
 

von Jan von Flocken

Von der Schlacht bei Waterloo ist vor allem der Satz des britischen Generals Wellington „Ich wünschte, es wäre Nacht oder die Preußen kämen“ in Erinnerung geblieben. Deswegen haben die Nachgeborenen der Hannoveraner vergessen, die ebenfalls für den Sieg über Napoleon unersetzlich waren.

Über das Geheimnis der Schlacht bei Waterloo Mitte Juni 1815 haben sich Generationen von Fachleuten den Kopf zerbrochen. „Ein Bild heilloser Verwirrung   dürfte sich wohl kaum je dem Blick entrollt haben“, konstatierte der deutsche Militärschriftsteller Karl Bleibtreu 1889. Er beklagte auch, dass jeder, der an dieser Schlacht teilgenommen hatte und noch einen Federkeil halten konnte, seine ganz persönliche Meinung einer wohlhungrigen Leserschaft präsentierte.

Einen sehr aufschlussreichen Aspekt lieferte kürzlich der irische Historiker Brendan Simms, Professor an der Universität vom Cambridge, mit seinem Buch „Der längste Nachmittag“ (eine eindeutige Parallele zu Cornelius Ryans „Der längste Tag“ über die alliierte Invasion in der Normandie am 6. Juni 1944). Darin schildert Simms, wie 378 deutsche Soldaten im Zentralpunkt der Schlacht, dem Gutshof La Haye Sainte, stundenlang einem Ansturm von tausenden Franzosen standhielten.

Wellingtons Hilfstruppen


Die Armee des britischen Feldmarschalls Wellington, welche Mitte Juni 1889 etwa 15 Kilometer südlich von Brüssel in der flandrischen Ebene, dem sumpfigen Wald von Soignes im Rücken, Position bezog, zählte gut 68. 000 Mann. Davon waren nur ein reichliches Drittel Engländer oder Schotten. Den Großteil seiner Streitmacht stellten Deutsche, Niederländer beziehungsweise Flamen und Wallonen – letztere eben so häufig wie falsch als „Belgier“ bezeichnet, obwohl dieser Kunststaat erste 1830 erschaffen wurde.

Zu den kampfkräftigsten Einheiten in Wellingtons Heer gehörte die Königlich-Deutsche Legion (King's Geraman Legion). Sie bestand aus ehemaligen Soldaten des mit Großbritannien in Personalunion verbundenen Kurfürstentums Hannover. Dieses Gebiet, das in etwa dem heutigen Bundesland Niedersachsen entspricht, war 1803 von Frankreich besetzt und seine Armee aufgelöst worden. Im Dezember 1803 wurde die Legion mit knapp 2. 000 aus Hannover emigrierten Soldaten in London aufgestellt. Zum Kriegseinsatz kamen Teile dieses Verbandes erstmals 1805 in Norddeutschland, danach in Holland und Dänemark; ihre eigentliche Feuertaufe aber erfolgte während der iberischen Feldzüge des späteren Herzogs von Wellington. Hier in Portugal und Spanien, schweißte sich die Legion zur Elitetruppe zusammen, die sowohl Kontingente der Infanterie als auch der Kavallerie und Artillerie umfasste. Die Deutschen waren „so unerschrocken, dass man ihnen überall vertrauen konnte; die britischen Offiziere und Soldaten räumten gerne ein, die Regimenter der Deutschen Legion stünden den ihrigen in nichts nach“, schreibt John Keegan in seinem Waterloo-Buch „Die Schlacht“  (1975). Nach dem siegreichen Gefecht beim spanischen Salamanca am 22. Juli 1812, wo Wellington den französischen Marschall Auguste Marmont entscheidend schlug, erhielten alle Offiziere der Legion einen permanent bestehenden Rang in Großbritanniens Armee.    

Während der Schlacht von Waterloo wurde vor allem die Zweite Brigade der Königlich Deutschen Legion (KGL) im Brennpunkt der Kämpfe als Wellenbrecher vor Wellingtons Zentrum aufgestellt. 1. 700 Mann unter dem Kommando von Oberst Christian Friedrich Freiherr von Ompteda sollten die Schlüsselstellung beim Gutshof  La Haye Sainte decken, der direkt an der Straße nach Brüssel lag. Den ummauerten Hof selber verteidigte eine Truppe von 378 Mann (offizielle Kriegsstärke 430) unter Oberstleutnant Georg Baring. Der 42-Jährige aus Hannover musste diese Stellung gegen den Ansturm von mehreren tausend Franzosen unter den Generälen Donzelot und Marcongnet halten, welche auf die Höhen des hinter La Haye Sainte gelegenen strategisch entscheidenden Hügels Mont Saint Jean stürmen wollten. Vor Beginn der Kämpfe stellte man fest, dass britische Soldaten in der Nacht zuvor ein Tor des Hofes als Feuerholz benutzt hatten. Jetzt musste dieser Eingang notdürftig befestigt werden. Das ganze spielte sich südlich des Dorfes Waterloo ab. In der flämischen Landessprache bedeutet Waterloo „heiliger Hain am Wasser“.

Die vergessenen Helden

Vier lange Stunden, bis etwa 17,30 Uhr, hielten die wenigen Deutschen der gegnerischen Streitmacht stand, die inzwischen von Marschall Michel Ney befehligt wurde. Sie bekamen nur wenig Verstärkung durch Männer des Zweiten KGL-Bataillons unter Major Dietrich Wilhelm Stollte. „Motiviert durch den Widerstand gegen Napoleons Tyrannei, dynastische Treue gegenüber dem König von England, deutschen Patriotismus, Kameradschaftsgeist in der Truppe sowie persönliche Bande der Freundschaft und Berufsethos kämpfte das Bataillon viele Stunden lang unermüdlich“., konstatiert Brendan Simms. Schließlich musste La Haye Saint geräumt werden, weil den Soldaten die Munition ausging und sie trotz mehrfacher Aufforderungen keinen Nachschub erhielten. Aber dadurch war ein entscheidender Zeitgewinn erreicht, bis die Preußen unter Generalfeldmarschall Blücher aus Richtung Wavre kommend eingreifen konnte und den Kampf entschieden.

Von Barings Männern waren nur noch 42 unverwundet, und er selbst schilderte das Ende des blutigen Tages: „ Die Division, welche schrecklich ermüdet war und unendlich gelitten hatte, blieb die Nacht über auf dem Schlachtfelde liegen, und mir waren von den 400 Mann, womit ich die Schlacht eröffnet hatte, nicht mehr als 42 übrig geblieben. Nach wem ich auch fragen mochte, die Antwort lautete: tot! - verwundet! - Ich gestehe frei, dass mir die Tränen unwillkürlich aus den Augen drangen über diese Nachrichten. „Auch Oberst Ompteda war bei dem Gegenangriff gefallen“.

Im kollektiven Gedächtnis ist die Leistung der Deutschen bei Waterloo kaum vorhanden. Ein bezeichnendes Beispiel ist „Waterloo“, das wohl monumentalste Kriegsepos der Filmgeschichte, in der Regie des Sowjetrussen Sergej Bondartschuk (1970). In dem zweistündigen Werk kommen ausschließlich Engländer und Schotten vor. Selbst Marschall Blücher und seiner preußischen Armee, die immerhin den Kampf entschieden, widmet der Film nur eine Sequenz von kaum 30 Sekunden. Wenigstens fällt Wellingtons legendärer Seufzer: „Ich wollte, es wäre Nacht oder die Preußen kämen.“ Die einzige Veröffentlichung über Waterloo zu DDR – Zeiten (Bernd Jeschonnek, 1979) berichtet zwar über die niederländische Brigade Bylandt, die nahe La Haye Sainte „nach kurzer Gegenwehr fast vollständig die Flucht ergreift“. Doch erwähnt der Autor bei den Kämpfen um jenen Bauernhof lediglich „Wellingtons Fußvolk“ und spricht an anderer Stelle von Braunschweigern und Hannoveranern, die sich „im Getreide verborgen“ hielten.

Als Fazit der Schlacht kommt der schon erwähnte Brendan Simms zu der Empfehlung: Die Deutschen sollten den Heldenmut der Hannoveraner Soldaten von Waterloo zum Vorbild für die Bundeswehr nehmen. Nur ein Ire und Cambridge-Professor kann auf solch eine Idee kommen.  


Jan von Flocken ist Historiker und Buchautor schreibt regelmäßig in COMPACT über geschichtliche Themen


Der Rothschild – Coup

Nicht nur General Wellington ging in Waterloo siegreich vom Felde, auch die berühmte Bankendynastie Rothschild und besonders der Begründer deren Londoner Zweigstelle Nathan Mayer machten in jenen Tagen ein Vermögen. Zuerst half er bei der Kreditierung der britischen Truppen. Wellingtons Soldaten wurden mit Goldmünzen bezahlt, die er lieferte. Dann wusste er die Panik, die aus Angst vor einem Sieg Napoleons an der Londoner Börse ausbrach, für sich zu nutzen. Britische Staatsanleihen wurden zu Spottpreisen verschleudert – und er kaufte, so viele er konnte. Als dann die Nachricht von der französischen Niederlage eintraf, schossen Rothschilds Gewinne durch die Decke – der große Coup brachte ihm ein märchenhaftes Vermögen. Bis heute gehört die 1811 gegründete Bank N. M. Rothschild & Sons zu den mächtigsten Investmentbanken der Welt.

Quelle: COMPACT, Magazin für Souveränität Ausgabe 7 / 2015

 


 

Abgetippt: Axel
Team Bunkersachsen 2015

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