Die Deutschen Katastrophen. 1914 bis 1918 und 1933 bis 1945 im Großen Spiel der Mächte

 

Auf dem Weg zum 8. Mai 1945

von Andreas von Bülow

Eine kurze Geschichte des 20. Jahrhunderts: Das angloamerikanische Machtkalkül hat sich immer gegen Stabilität auf dem europäischen Kontinent gerichtet, also gegen Deutschland und Russland

„Wenn Deutschland gewinnt, sollten wir Russland helfen, wenn Russland siegt, sollten wir Deutschland helfen.“  W. Churchill


Deutschlands Schicksal war es, seit der Reichseinigung 1871 zur inzwischen stärksten Macht auf dem europäischen Kontinent herangewachsen zu sein. Das musste die damals nach ihren geopolitischen Selbstverständnis noch erste Weltmacht über kurz oder lang zum Eingreifen veranlassen: Großbritannien folgte einer 400-jährigen Tradition, stets gegen die stärkste Macht auf dem europäischen Kontinent vorzugehen und dabei die zweit- und drittrangigen Mächte in den Kampf einzuspannen. Dies meinte Winston Churchill, der eingefleischte Vorkämpfer des Britischen Empires, in einer 1938 vor dem britischen Unterhaus gehaltenen, jedoch unter Verschluss genommenen Rede. Der Kampf gegen den Stärksten habe im Laufe der Jahrhunderte erst Spanien, dann Frankreich getroffen, nun treffe es zwangsläufig Hitler-Deutschland. Dabei sei die jeweils regierende Person, ob Karl V. von Habsburg-Spanien, Ludwig XIV, Napoleon oder später Hitler völlig unerheblich. Churchill dürfte in dieser Rede zynisch die Wahrheit gesagt haben.

Entente und Wall Street

Der Mord am österreichischen Thronfolger vom 28. Juni 1914 in Sarajewo war Anlass, der den Vorwand lieferte, um bisherigen europäischen Machtverhältnissen nach Maßgabe vorheriger geheimer Vereinbarungen zu verändern. England trat auf der Seite Frankreichs und Russlands, als feststand, dass Russland Armee und Flotte ebenfalls gegen Deutschland mobilisiert hatte und Frankreich dem, wie bereits 1891 vereinbart, auf dem Fuße folgte. Deutschland mobilisierte als letzte der Kriegsführungsmächte – ungewöhnlich für einen Staat, dem bis heute die Rolle des Angreifers unterstellt wird.

Spätestens ab Ende 1916 waren alle europäischen Staaten nicht mehr imstande, die gewaltigen Aufwendungen für de Krieg zu finanzieren. Amerikanische Banken hatten bereits mit Kriegsbeginn 1914 die Entente mit Krediten zur Finanzierung der Lieferung amerikanischen Kriegsmaterials ausgestattet. Der Krieg wurde in den USA zu einem gewaltigen Geschäft. Ein vorzeitiger Friede hätte diesen Boom wegen der großen Probleme bei der Umstellung von Kriegs- auf Friedensproduktion abgewürgt. So konnten die New Yorker Banken ab 1916 absehbar nicht mehr mit der Bedienung ihrer Kredite durch die Schuldnerstaaten England, Frankreich und Russland rechnen. Die Gold- und Devisentöpfe waren erschöpft. Folgerichtig diskutierten die amerikanischen Banker schon frühzeitig darüber, wie sie andere Möglichkeiten zur Refinanzierung ihres Engagements eröffnen könnten. Von daher lag die Aufteilung nicht nur des Osmanischen Reiches mit seinen großen Ölvorkommen nahe. Es bot sich nun auch die ausbeutungsgeeignete Zerstückelung des transkontinentalen russischen Reiches mit seinen riesigen Bodenschätzen an. Die Novemberrevolution 1917 schuf eine Lage, die diese Kredite hinfällig machen konnten. Den Revolutionären Lenin aus Zürich und Trotzki aus New York gewährte nicht nur das Deutsche Reich finanzielle Hilfestellung. Ganz wesentlich war die Finanzierung durch einige New Yorker Banken.  Dem nun einsetzenden sowjetischen Machtaufbau setzten sich russische Bürgerkriegsarmeen entgegen, die von den Westmächten sofort mit Waffen und Munition unterstützt wurden. Interventionsarmeen der USA, Großbritanniens, Frankreichs, Japans und der Tschechoslowakei griffen in die Kämpfe ein. Die Aufteilung Russlands in selbstständige Teilstaaten stand auf Messers Schneide, aber gerade sie wäre für die Investoren in den Bürgerkrieg profitabel gewesen.   

Als all dies auch am Widerstand der russischen Bevölkerung scheiterte, die Sowjetunion sich zu stabilisieren begann, bleib die lukrative industrielle Aufrüstung der Sowjetunion mit amerikanischem Kapital übrig. Nun sahen die amerikanischen Banken als letzte Refinanzierungsmöglichkeit der an die Entente gewährten Kredite nur die Überbürdung der Schuldenlast aller Entente-Staaten auf Deutschland in Gestalt der zahlenmäßig nicht begrenzten Reparationen (Versailler Vertrag).  

Gegen Berlin, gegen Moskau

Die auf Demokratie und Freundschaft mit den ehemaligen Feinden setzenden Demokraten der Weimarer Republik wurden wie Verbrecher behandelt und wirtschaftlich wie finanziell auf mehr als ein Jahrzehnt hängengelassen. Diese Haltung wird verständlich, wenn nicht dauerhafte Freundschaft und Frieden das Ziel der westlichen Akteure waren, vielmehr die Refinanzierung der jedes Maß überschreitenden Kriegskredite, ebenso wie das Ausschalten und Niederhalten eines lästigen, weil erfolgreichen, Konkurrenten, im Vordergrund standen.

Nachdem es dem Entente im Großen Spiel nicht gelungen war, Russland am Ende des Ersten Weltkrieges über Revolution und/oder Intervention in die Hand zu bekommen, wurden neue Instrumente zum Niederringen des von Churchill so gehassten „Bastards Sowjetunion“ gesucht, eines „Kindes, das man noch in der Wiege erwürgen“ müsse. Das tief verwundete und kriegsmüde Deutschland der Weimarer Republik hätte 1919 und in den Jahren danach zum Krieg gegen die Sowjetunion nicht in Stellung gebracht werden können. Hierzu eignete sich viel eher die neue Bewegung faschistischer Diktatoren, denen die aufgrund westlicher Wirtschafts- und Bankinteressen großes Wohlwollen entgegengebracht wurde. Nur so konnte das Heranwachsen der militärischen Macht eines Hitler-Deutschlands widerstandslos gelingen.

Der deutsche Widerstand gegen Hitler unter Einschluss der hohen Militärs traf in England bis zum Schluss auf taube Ohren. Die Optionen, ihm militärisch Widerstand zu leisten, zuletzt 1938 im Falle der durchaus verteidigungsbereiten und -fähigen Tschechoslowakei, wurde bewusst nicht genutzt. Das verbale Haltezeichen der westlichen Verbündeten gegen Hitler wurde erst aus Anlass der Bedrohung Polens 1939 in Gang gesetzt. Die frühzeitig angebotene Hilfe der Sowjetunion als einzig militärisch sofort wirksame Abschreckung gegen den Einmarsch in Polen ließ England ins Leere laufen. Polen blieb ohne westliche Unterstützung, wurde von Washington jedoch auf einen späteren größeren Gebietsgewinn vertröstet. Stalin durchschaute das Spiel Londons und Washingtons. Desgleichen Adolf Hitler. Der Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939 war die logische Folge. Stalin gewann Zeit gegen einen deutschen Angriff und Hitler den Aufmarschraum für die Wehrmacht. Den Kriegserklärungen Englands und Frankreichs an Deutschland folgte nichts. Frankreich wich in fünf Wochen dem Ansturm der Wehrmacht aus, die so an die Kanalküste gelangte.

Bilanz und Ausblick

Es war Präsident Woodrow Wilson, der bereits während des Ersten Weltkriegs ein vernichtendes Urteil über die Drahtzieher („Deep Politics“) fällte. „Wir haben es geschafft, eine der am schlechtesten regierenden, eine der vollständig kontrollierten und  beherrschten Regierung der Welt zu werden – nicht länger eine Regierung der freien Meinung, nicht länger aus Überzeugung und nach dem Willen der Mehrheit der Wähler, vielmehr eine von Meinung und Nötigung einer kleinen Gruppe alles beherrschender Männer.“  Die Erkenntnis, dass Wilson recht hatte, gewinnt inzwischen auch in Deutschland an Boden. Das uns, das eigene Volk, ebenso wie die Bürger der Welt nun auch noch bis ins Intime beschnüffelnde amerikanische Ideal der Nachkriegszeit droht zu zerfallen. Umso gefährlicher droht erneut die politische wie militärische Lage eines im globalen Maßstab führungslosen  Europa zu werden.

Die Würdigung der Hintergründe der beiden Weltkriege ändert nichts an deutscher Verantwortung und Schuld für begangene Verbrechen. Diese können jedoch dem Volk in seiner Gesamtheit nicht angelastet werden. Die aus dem Geschehen zu ziehenden Lehren sind für Deutsche je nach Standort und Funktion des Einzelnen wie der Gruppe im abgelaufenen Jahrhundert andere als für Franzosen, Amerikaner, Polen, Schweizer, Japaner und Russen. Besserung wäre nur zu erwarten, wenn die Völker das verdeckte Treiben ihrer oft durch Geld korrumpierten Führungsspitzen im Nachhinein die Lügen, auf die man sich hat einigen können, durchschauten. Doch die in ihrer Raffinesse und Breite damals wie heute verabreichte Desinformation lässt wenig Hoffnung.  



Andreas von Bülow (SPD) war Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium (1976 – 1980) und Bundesforschungsminister (1980 – 1982). Der Text ist ein gekürzter und bearbeiteter Auszug aus seinem neuen Buch

„Die Deutschen Katastrophen. 1914 bis 1918 und 1933 bis 1945 im Großen Spiel der Mächte“ (416 Seiten, 24,95 Euro, Kopp-Verlag)


Rochaden vor dem 8. Mai
Die nach Hitlers Selbstmord gebildete Regierung unter Großadmiral Karl Dönitz erklärte am 8. Mai 1945 die Kapitulation der Wehrmacht zunächst nur der angelsächsischen Seite gegenüber. Zuvor hatte schon am 29. April 1945 ein Obergruppenführer der SS, auch in seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber der Wehrmachtstruppe in Italien, mit Allan Dulles, dem Vertreter des Office of Strategic Studies in Bern und späteren CIA-Chef, die vorzeitige bedingungslose Kapitulation der deutschen Verbände in Italien vereinbart. Stalin war über dieses eigenmächtige Vorgehen empört.

Die Operation Sunrise, die vorgezogene Kapitulation in Italien, gab dem mit der Bankenwelt New Yorks engstens vertrauten Geheimdienstvertreters der USA in der Schweiz die Möglichkeit, die Nachkriegswelt entscheidend mit zu beeinflussen. Die deutsche Kapitulation in Italien verhinderte  den von amerikanischer Seite befürchteten Rückzug der Wehrmacht aus Oberitalien in die schwer einnehmbare Alpenfestung, die Hitler sich nach den Vorstellungen der Alliierten als Überlebensrefugium erträumt haben mochte. Dulles und die ihn stützenden Kreise in Politik und Administration mussten nach der bevorstehenden totalen deutschen Niederlage ihre Ziele neu festlegen. Die Vereinbarungen mit der SS unter Allan Dulles sorgten für die nahtlose Übergabe der Gestapo-Listen, aus denen die zu verfolgenden linken Kräfte hervorgingen. (A.v.B.)

Allan Dulles.  Foto: US-Regierung



Die großen Drei, Churchill, Roosevelt und Stalin, während der Konferenz von Jalta im Innenhof des Livadia Palastes.  Foto: Library of Congrss

 

 Quelle: COMPACT, Magazin für Souveränität Ausgabe 5 / 2015

 

 

 

Getippt: Axel

Team Bunkersachsen

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