Ernst Jünger 29. März 1895 bis 17. Februar 1998

Zeugnisse eines Kriegsbegeisterten

Wodurch Ernst Jüngers erstmals veröffentlichte Feldpostbriefe erschütterten


Einhundert Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges hat der Verlag „Klett-Cotta“ Ernst Jüngers Feldpostbriefe veröffentlicht, die einen Eindruck von den mitunter grauenhaften Erlebnissen des späteren Literaten, der von Januar 1915 bis September 1918 als Kriegsfreiwilliger an der Westfront kämpfte, vermitteln. Die bis dato unbekannten Briefe, Telegramme und Postkarten an seine Eltern und seinen Bruder Friedrich Georg, die Jüngers Biograf Heimo Schwilk zusammengestellt hat, sind Zeugnisse des Stellungskrieges im Westen mit seinen blutigen Materialschlachten. Die meisten Antwortschreiben der Eltern wie auch seines jüngeren Bruders gelten als verschollen.

Schon seit Jüngers ersten Brief, der undatiert ist, aber wegen der Übereinstimmung mit einer entsprechenden Eintragung in seinem Kriegstagebuch im Januar 1915 an der Front in der Champagne niedergeschrieben worden sein dürfte, ist man beinahe fassungslos ob der kühlen und scheinbar teilnahmslosen Betrachtung der Schrecken, in die der Verfasser unvermittelt hineingeworfen wurde. Die Pose eines jugendlichen Draufgängers? Oder drückt sich schon jene sehr spezielle Haltung aus, die ihm auch später während seiner Pariser Zeit im Zweiten Weltkrieg zueigen sein sollte.

Er schreibt an seine Eltern:

„Meine ersten Kriegseindrücke haben mich etwas enttäuscht. Als die ersten Gewehr- und Granatkugeln kamen, haben wir fast alle gelacht. Auch das Schreien der Getroffenen, das Blut und das Hirn des Postens am Schlossportal konnte ich ruhig und lange ansehn.“
Und weiter:

„Die Gräben sollen bis oben voll Leichen gesteckt haben, erzählten mir 2. Reg.Kameraden und 500 gefangene Engländer sind nachher noch niedergemacht. Ich denke, dass ich den letzten Anlauf  mitmachen kann, denn der wird sicher noch von der einen oder anderen Seite kommen. Hier ist das Leben auch ganz gut zu ertragen. Besonders hübsch ist es an den Tagen, wo der Hauptmann Bier aufgetrieben hat. So um 11 Uhr ist alles besoffen und es ist ein Betrieb wie in einer kleinen deutschen Universitätsstadt.“

„Eine neue Art des Krieges“

Wenige Monate später, im April 1915, wird Ernst Jüngers erstmals verwundet. Nach einem Lazarettaufenthalt in Heidelberg immatrikuliert er sich an der dortigen Universität und besucht ein paar zoologische Vorlesungen. Doch schon im Sommer nimmt er an einem Lehrgang in Döberitz bei Berlin teil und wird zum Fahnenjunker befördert. Das Idyll, das er in einem Brief an Mutter und Vater vom 5. Juli 1915 beschreibt, steht im krassen Gegensatz zu den Schilderungen von der Front:

„Gestern am Sonntag habe ich mich fein gemacht und bin ganz allein durch die schöne Mark zum Finkenkrug gepilgert, habe dort Kaffee getrunken, dann Abendessen mit Bowle. Die Einsamkeit war ganz nett, wurde aber doch durch Horden von Berlinern zeitweise gestört. Übrigens muss der, der den Spruch machte:
Mit Donner, Hagel und Blitz
Schuf Gott die Wüste Döberitz
kein Naturfreund gewesen sein, denn ich finde die Märkische Kiefern, Sand, Heide und Seenlandschaft großartig. Für nächsten Sonntag freue ich mich schon auf Berlin, obwohl ich doch fast den ganzen Tag im Aquarium zubringen werde. Schreibt mir doch mal, auf welchen Straßen man bei dieser knappen Zeit am besten geht, wo man zu Mittag isst und wo man Kaffee trinkt.“

Die unbeschwerte Zeit in der Märkischen Heide ist bald wieder vorbei, es geht zurück an die Westfront. Nach Stellungskämpfen bei Douchy und Monchy im Artois wird Jünger schließlich im November 1915 zum Leutnant ernannt. Später besucht er einen Offizierskurs in Croisilles und erhält als erste Auszeichnung das Eiserne Kreuz 2. Klasse. Von Juli bis November 1916 nimmt Jünger dann an der Somme – Schlacht teil, die am 1. Juli 1916 als Großoffensive britischer und französischer Truppen gegen deutsche Stellungen begonnen und schließlich ohne militärische Entscheidung abgebrochen wurde. Mit über einer Million gefallener, verwundeter und vermisster Soldaten war sie die verlustreichste Schlacht des gesamten Krieges. In einem Brief an seine Mutter vom 30. August 1916 schreibt Ernst Jünger:

„Sind augenblicklich an der Somme gewesen und liegen jetzt in Ruhe ((…). Eine ganz neue Art des Krieges habe ich jetzt kennen gelernt, ich halte diese Schlacht für die größte der Welt.“

Keine Freude über Friedensangebot

Am 1. September 1916 wird der junge Leutnant durch eine Schrappnellkugel im linken Unterschenkel zum zweiten Mal, am 12. November als Führer eines Spähtrupps südöstlich von Verdun ein drittes Mal verwundet. Durchschuss durch die rechte Wade und Streifschuss an der linken. Wieder in Stellung schreibt Jünger am 15. Dezember 1916 an seinen Bruder Friedrich Georg:

„Das Feuer an der Somme hat sehr abgeflaut. Nur noch abends bekommt man zuweilen ein halbweges anständiges Trommelfeuer zu hören. Sonst grummelt es sich so langsam hin.“

Über das Angebot zum Frieden , das die Mittelmächte Deutsches Reich und Österreich drei Tage zuvor (am 12. Dezember wurde Jünger das Eiserne Kreuz 1. Klasse verliehen) erfolglos den Feindmächten unterbreitet hatten, heißt es in dem Brief:

„Das Friedensangebot kam uns hier ganz überraschend, und manchem wollte es nicht so recht gefallen, das wir den ersten Schritt getan haben. Was mich betrifft, so glaube ich an keinen Frieden, die nicht die Entscheidung durch Hunger oder durch Waffengewalt vorausgegangen ist.“

Im Januar 1917 nimmt Jünger in Sissonne bei Laon an einem Lehrgang für Kompanieführer teil und geht dann im Februar als Führer der 8. Kompanie in Abwehrkämpfe gegen britische Truppen. Am 13. März folgt schließlich der Rückzug seines Regiments von der Somme. Nach mehreren Einsätzen als Führer der 4. Kompanie und Zugführer in der 2. Kompanie folgt dann vom 26. Juli bis 2. August sein Einsatz als Führer der 8. Kompanie in Flandern nordöstlich von Langemarck. Am 30. Juli sorgt er für den Rücktransport seines schwer verwundeten Bruders. Auffällig ist übrigens, das Ernst Jünger diesen in seinen Briefen stets wesentlich mehr anvertraut als den Eltern. Gegenüber Friedrich Georg spricht er auch von seinen Liebschaften und sogar – wenn auch selten – von seinen Ängsten in diesem infernalischen Stellungskrieg. Seinen Eltern hingegen will er eher imponieren. Er trägt dabei mitunter dick auf und geht über schreckliche Ereignisse mit lapidarem Ton hinweg.

Dokumente seiner Persönlichkeit

Am 23. September 1917 wird Jünger bei einer Patrouille in Lothringen durch Granatsplitter zum vierten Mal verwundet. Nach einem Heimat- und Genesungsurlaub geht es im Oktober zurück nach Flandern, bevor dann ein Einsatz im Artois bei Cambrai folgt. Schließlich wird er bei einem Sturmangriff in der Nähe von Moeuvres durch einen Granatsplitter zum fünften Mal verwundet und daraufhin mit dem Ritterkreuz des Königlichen Hausordens von Hohenzollern mit Schwertern ausgezeichnet. Am 20. März 1918 überlebt Ernst Jünger einen Granatenangriff, bei dem seine Kompanie zu zwei Dritteln vernichtet wird. Er selbst bleibt unverletzt , wird jedoch schon zwei Tage später bei einem Sturmangriff durch eigenes Feuer zum sechsten Mal in diesem Kriege verwundet.

Das Ende des Krieges sieht Jünger nach seiner am 25. August 1918 vor Camprai erlittenen siebten, letzten und schwersten Verwundung, einen Lungenschuss, im Lazarett in Hannover herannahen. Am 22. September 1918 wird er schließlich mit dem Pour le Mérite die höchste militärische Auszeichnung der preußischen Krone verliehen. Kaum zu fassen, dass Jünger seinen Eltern noch am 10. September, knapp zwei Monate vor Unterzeichnung des Waffenstillstandes am Wald von Compiégne, mitteilte:

„Ich muss mich jetzt wieder mal unbedingt erholen, um mal wieder Krieg machen zu können.“

Der soeben erschienene, von Heimo Schwilk herausgegebene Band mit der Feldpost Ernst Jüngers ist eine eindrucksvolle und sinnvolle Ergänzung von „Klett-Cotta“ zu dem vor wenigen Jahren von Helmuth Kiesel herausgegebene Band „Kriegstagebuch 1914 – 1918“, das die Original – Aufzeichnungen Jüngers enthält, die dieser später in seinem Werk „In Stahlgewittern“ verarbeitete. Insbesondere der direkte Vergleich der Aufzeichnungen Jüngers mit den zumeist genau datierten Schreiben an seinen Bruder und seine Eltern lohnt sich.

Anders als viele Zeitgenossen verlor Ernst Jünger in seinen Briefen nicht ein einziges Wort über Sinn oder Sinnlosigkeit der massenhaften Menschenvernichtung zu Beginn des letzten Jahrhunderts. In dieser Hinsicht wirken seine Feldpostbriefe mehr noch als Dokumente seiner Persönlichkeit denn als solche der damaligen Zeit.

Alexander Frisch

Ernst Jünger mit dem ihm am 22. September 1918 verliehenen Orden Pour le Mérite
 

Quelle: National – Zeitung 21.03.2014 „Menschen“. Foto: National - Zeitung

Weitere Informationen:

Ernst Jünger

de.wikipedia.org/wiki/Ernst_J%C3%BCnger

Eiserne Kreuz 2. & !. Klasse

www.lexikon-der-wehrmacht.de/Orden/ek12.html

Ritterkreuz des Königlichen Hausordens von Hohenzollern mit Schwertern

de.wikipedia.org/wiki/K%C3%B6niglicher_Hausorden_von_Hohenzollern

Pour le Mérite die höchste militärische Auszeichnung der preußischen Krone

de.wikipedia.org/wiki/Pour_le_M%C3%A9rite



Abgetippt: Axel
Team Bunkersachsen 2014

 

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